Die Themen waren kontroversiell, emotional und bisweilen schwierig. Aber im pädagogischen Alltag führt kein Weg daran vorbei, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Die Pädagogische Hochschule Wien wird spürbar zum Urban Diversity Education (UDE) Campus, und nach drei Tagen intensiver Auseinandersetzung mit gezielten Aspekten von Pluralität wird der neue Kurs greifbarer.
An Diversität führt kein Weg vorbei. „Nicht nur weil wir in Wien sind, sondern weil wir Wien sind.“, bringt es Rektorin Barbara Herzog-Punzenberger auf den Punkt. Wir stellen uns nicht die Frage, ob wir uns damit auseinandersetzen möchten, sondern WIE das bestmöglich gelingen kann, und im Idealfall, wie wir die daraus resultierenden Erkenntnisse in unser (pädagogisches) Handeln einbinden können. Bis es irgendwann zur Selbstverständlichkeit wird, Diversität zu denken, zu fühlen und zu leben.
Kolleg*innen aus allen Organisationseinheiten kamen für drei Tage zusammen, um im Rahmen von Vorträgen, Workshops, Gesprächen und Vertiefungen in Themenfelder einzutauchen, denen sich niemand entziehen kann. „Denn migrationsbedingte Diversität, kollektive und individuelle Identität, Sprache und Mehrsprachigkeit, soziale Herkunft – das betrifft uns alle, aber eben in unterschiedlicher Weise.“, so Herzog-Punzenberger. Und sie weiß, dass in der öffentlichen Debatte das Bildungs- und Schulwesen als schwerfällig wahrgenommen wird, und Veränderungen eher träge vor sich gehen. Gerade deshalb, sei es besonders wichtig, langfristig zu denken und nachhaltig zu planen. Denn auch ein langsamer Dampfer kann seinen Kurs ändern. Ein Beitrag zu dieser wichtigen Kursänderung ist die Ausrichtung der Pädagogischen Hochschule Wien als Urban Diversity Education Campus.
Lern- und Schulerfolge sind im internationalen Vergleich unzureichend, Diskriminierung und Rassismus sind weit verbreitet, die Studierenden fühlen sich darauf nicht gut genug vorbereitet, was die niedrigen Studierendenzahlen erklärt. Anders läuft es in Favoriten: mit 560 Studierenden in der Primarstufe, 120 in der Elementarpädagogik und 211 in der Berufsbildung zeichnet sich ein deutlicher Anstieg ab.
Die Pädagog*innen, die hier ausgebildet werden, sollen künftig besser auf die schwierigen Themen vorbereitet sein, die wir in der Gesellschaft haben, die Zielrichtung ist klar: Chancengleichheit, Gleichbehandlung und Diskriminierungsschutz. Diese drei Faktoren werden künftig wesentlich die Personalentwicklung bis hin zur Curriculumsentwicklung ausmachen. „Das Profilthema UDE ist das Topthema in allen Teilbereichen auf struktureller, personeller als auch inhaltlicher Ebene. Denn es geht letztlich um Repräsentation und Teilhabe, nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in einer Organisation. Und das betrifft alle Hierarchieebenen der Mitarbeiter*innen und der Studierenden.“, denkt Herzog-Punzenberger UDE weiter, und betont, dass es dafür die klare Bereitschaft braucht, Strukturen und Prozesse zu beleuchten, anzupassen und wenn nötig auch zu verändern.
Normalität als eine Variante von vielen
Wie eine solche tiefgreifende Kursänderung gelingen kann, skizziert Herzog-Punzenberger, und betont gleich, dass dies ein nachhaltiger Prozess ist, der individuell die persönliche Identität alle betrifft, die sich darauf einlassen. „Wir fragen nach, wie Phänomene und Selbstverständnisses entstanden sind, wie sie sich verändert haben, und vor allem welche Geschichtlichkeit ihnen zugrunde liegt.
Wir machen auf Mehrdeutigkeiten und Widersprüche aufmerksam und hinterfragen den Kulturbegriff. Wir problematisieren Ethnozentrismus, Eurozentrismus und abwertende sowie ausschließende Normalitätskonstruktionen. Und damit wollen wir schließlich Othering-Prozesse, also die Markierung von Menschen als ‚anders‘, sensibel wahrnehmen und vermeiden.“, zieht Herzog-Punzenberger einen großen Bogen und macht damit deutlich, dass UDE kein Prozess ist, der im Hörsaal oder Klassenzimmer bleibt, sondern weit darüber hinaus wirkt.
Wenn man versteht, dass die eigene Normalität nur eine Variante von vielen ist, weil sie ja jeweils von einem Kontext abhängig ist, hat mit dieser zentralen Erkenntnis schlagartig mehr Handlungsoptionen. Wer hinterfragen kann, kann auch leichter Verbindungen erkennen, und mehr Wissen lässt uns prinzipiell die Dinge entspannter sehen. Das sei die Voraussetzung, um Pluralität anerkennen und wertschätzen zu können, denn „Identität wird nicht durch Geburt allein festgelegt. Zugehörigkeitsordnungen werden im Laufe des Lebens (re)konstruiert. Beziehungsgeflechte, Netzwerke aus der Kindheit und der Jugend, Lebenswelten – all das beeinflusst uns ungleich mehr als der Ort, an dem wir geboren wurden. In Migrationsgesellschaften sehen wir besonders gut, wie sinnlos es ist, in nationalstaatlichen Einheiten und Grenzen zu denken.“
Pädagog*innen bestmöglich vorbereiten
Junglehrkräfte sollen das Gefühl und das Wissen haben, dass sie für die Schulstandorte und Klassen gut vorbereitet sind, dazu gehört auch eine hohe UDE-Kompetenz. Migrationsbedingte Vielfalt prägt die Kindergärten, die Schulen, die Hochschulen, daher müssen auch die Pädagog*innen profundes Wissen und größtmögliche Handlungsfähigkeit haben. „Diversität bildet sich auf so vielen unterschiedlichen Bereichen ab“, weiß Herzog-Punzenberger, „sprachlich, sozio-kulturell, religiös, aber auch sozial-emotional. Zugehörigkeit und Gemeinschaftsgefühl sind überall erlebbar. Und daher muss UDE als Haltung auch in digitalen Kompetenzen, Kunst, Kultur und Sport verankert sein.“
Herzog-Punzenberger denkt UDE als Haltung noch viel weiter. Sie bezieht unbedingt auch Konzepte der Sozialraumorientierung und der Elternkooperation mit ein. „Pädagog*innen sollen sich nicht immer für alles zuständig fühlen, aber Wohlbefinden ist ein Faktor, um Qualität in der Schule zu definieren und zu steigern. Ich muss mich also abgrenzen aber auch vernetzen können. Gerade auf lokaler Ebene lässt sich in einem Bildungsgrätzel sehr viel bewegen. Zusammenarbeit im Kontext der Nachbarschaft ist auch im internationalen Vergleich ein Schlüssel dafür, Schule gut in der Gesellschaft zu verankern.“, greift Herzog-Punzenberger ein umstrittenes Diskussionsfeld auf.
Wir gehen den Weg konsequent weiter
In einer Gesellschaft, die durch geringe Vorhersehbarkeit und Verlässlichkeit geprägt ist, die traditionell von Migration geprägt ist, und in der technologischen Entwicklungen, die ohnehin bereits vorherrschende Komplexität noch erheblich steigern, sind die Absolvent*innen der Pädagogischen Hochschule Wien optimal vorbereitet, mit diversen Lebenswelten umzugehen und sie als Ressource zu begreifen. In 10 Jahren ist die PH Wien ein attraktiver Bildungscampus, der über Favoriten hinaus bekannt ist. Dies dank adaptierter Curricula mit UDE-Schwerpunktsetzungen, durch gezielte Maßnahmen in der Personalentwicklung, durch hochwertige Weiterbildungsprogramme, und durch eine nachhaltige Verankerung von UDE im Hau. Die Pädagogische Hochschule Wien hat sich stetig zu einem Ort entwickelt, an dem viele Studierende hochgradig zufrieden sind mit ihrer innovativen und hochwertigen Ausbildung. Diese Zufriedenheit wirkt auch auf ein höheres Vertrauen von Eltern in die Pädagog*innenausbildung ein. „Wir haben uns viel vorgenommen. Aber wir sind bereits gut unterwegs“, freut sich Herzog-Punzenberger. Die Rektorin blickt überaus positiv gestimmt in die Gesichter der motivierten Kolleg*innen im dicht gefüllten Mehrzwecksaal und in die Zukunft.
Wie groß der Unterschied zwischen Realität und Wahrnehmung ist, zeigt ein Blick in die Statistiken der Stadt Wien, der durchaus vergnüglich sein kann. Wir alle haben eine bisweilen verschobene Perspektive, und wenn wir in die Vergangenheit schauen, setzen wir allzu gerne eine rosarote Brille auf, führt Lejla Hadj-Abdou von der MA 17 aus.
Wien hat eine Geschichte, die traditionell sehr eng mit Migration verknüpft ist. Seit jeher prägt Vielfalt das Stadtbild und die Gesellschaft, unabhängig von den vielen Entwicklungsdynamiken im Laufe der bewegten Geschichte. Wenn allerdings manche einer Zeit hinterhertrauern, in der vermeintlich alles besser war, weil weniger vielfältig, so lässt sich das gut mit dem so genannten „Rosy Past Bias“ erklären, also dem Drang, Vergangenheit tendenziell durch eine rosarote Brille wahrzunehmen, obwohl sie damals keineswegs als so gut erlebt wurde, wie sie im Nachhinein bezeichnet wird. Wir alle kennen solche Ansätze aus unseren persönlichen Biographien.
Was sich aus den Statistiken der Stadt Wien gut ablesen lässt, ist beispielsweise die Tatsache, dass der Anteil der Wiener Bevölkerung mit höherer Bildung zugenommen hat. Entgegen der vielfach kommunizierten Annahme zeigen sich die Wiener*innen übrigens sehr offen in Hinblick auf Diversität. „Wiener*innen erleben ihre Stadt als freundlich, und die Mehrheit spricht sich dafür aus, die die Kinder, die in Wien auf die Welt kommen, auch die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten sollten, nach fünf Jahren wählen dürfen sollten und sogar die Doppelstaatsbürgerschaft wird positiv bewertet.“, konterkariert Hadj-Abdou das nach wie vor vorherrschende hartnäckige Vorurteil in Bezug auf die Identität und damit verbundene Zuschreibungen. „Identität ist den Wiener*innen relativ wurscht.“, bringt sie es auf den Punkt.
Die Frage, was unsere Einstellung und Meinung zu Migration beeinflusst, ist schnell beantwortet: Bildung ist ein wesentlicher Faktor.
Über Rassismus zu sprechen ist nicht leicht, denn das Thema ist emotional stark besetzt. Und einige behaupten von sich mit Vehemenz kein*e Rassist*in zu sein. Info Dirim fragt sich, ob das überhaupt möglich ist.
Im Verlauf der letzten Jahre sieht man deutlich: die Fälle von Rassismus, die beispielsweise bei der Antirassismusstelle ZARA gemeldet werden sind in den letzten Jahren steigend, und das liegt nicht nur daran, dass es mehr Fälle gibt, sondern auch erfreulicherweise daran, dass es mehr Menschen gibt, die ihn nicht mehr so einfach hinnehmen. Als Gesellschaft sieht Dirim Österreich nach wie vor noch immer stark von Diskriminierung und Kolonialismus geprägt. Daher sieht sie keinen rassismusfreien Raum in der Gesellschaft. Dabei kann Rassismus viele unterschiedliche Formen haben. Inci Dirim spricht sich klar dafür aus, Rassismus als diskursiv erzeugtes soziales Unterscheidungssystem, das mit dem konstruierten Begriff „Rasse“ operiert. Denn das Konzept Rasse ist das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung. Und auch Sprache kann im Sinne von Rassismus eingesetzt werden.
Alleine das Konzept vom „Native Speaker“ beinhaltet Vorstellungen von Natürlichkeit. Deutsch ist eine Sprache, in der es viele unterschiedliche Dialekte gibt und auch Einflüsse von Migrationssprachen. Hier allerdings würden deutliche Unterschiede gemacht: Tirolerisch beispielsweise hat eine gewisse Natürlichkeit, ein bosnischer Akzent gilt als nicht gutes Deutsch. Dahinter verrostet Dirim eine Bodenideologie, denn hinter solchen Konzepten stecke immer die Frage nach Legitimierung. Und sie stellt die Frage in den Raum, warum manche Akzente legitimer sind als andere.
Rassismus zu erkennen ist eine Denkrichtung
Im ersten Schritt braucht es die Bereitschaft zur Reflexion, denn Rassismus zu erkennen ist für Inci Dirim eine Denkrichtung. Erst mit gezielter (Selbst-)Reflexion lassen sich rassistische Unterscheidungen erkennen, reflektieren und Alternativen erproben. Sich auf Natürlichkeit zu berufen ist nicht hilfreich. Denn selbst wenn wir es vielleicht gar nicht wollen, können wir selbst unterschiedliche Formen von Rassismus ausüben, mahnt Dirim die Grundlage von Rassismuskritik ein: „Sich selbst beobachten, seine Sprache reflektieren, unter diesen gesellschaftlichen Voraussetzungen weniger diskriminierend zu sein, das alles klingt vielleicht sogar etwas moralisierend.“, führt sie aus. Kategorien wie Gut oder Böse helfen bedingt weiter. Viel wichtiger sei die Frage, wie es überhaupt zu Rassismus kommt, welche Diskurse ihn und uns beeinflussen, und wie man ungewollt rassistisch handeln kann. Bei Sprache fängt es immer wieder an. Sprechen wir von „anderen“, kann es bereits durch den Begriff zu Distanzierungen kommen. Dirim plädiert für eine selbstkritische Haltung, um von pauschalen Verallgemeinerungen Anhang eines typischen Merkmales wegzukommen. Im System Schule können sowohl Schüler*innen als auf Lehrer*innen rassistisch sein. Aber wer sitzt letztlich am längeren Hebel? Das Problem verrostet Dirim auch darin, dass eigene Erfahrungen zwischen Lächerlichkeit und Ärger oszillieren. Die eigene Betroffenheit, eine mögliche Opferhaltung, das alles spielt in die Wahrnehmung von Rassismus mit rein. „Wenn wir über Rassismus sprechen, müssen wir auch gesellschaftliche Möglichkeiten der betroffenen Gruppe beachten. Was können Schüler*innen machen, was eine Lehrperson? Ich als Lehrkraft bin aber in einer Machtposition, daher hat das eine besondere Wirkung, wenn ich rassistisch bin, auch im Vergleich mit den Schüler*innen untereinander. Machthierarchien spielen eine wichtige Rolle.“, unterstreicht die Sprachwissenschafterin vehement.
Wie lässt sich Rassismus vermeiden und bekämpfen?
Die Frage ist auch für Inci Dirim nur bedingt leicht zu beantworten. „Alles beginnt damit, dass wir uns Wissen über die Geschichte, die Gegenwart und vor allem die Formen von Rassismus aneignen müssen. Erst wenn wir über dieses Wissen verfügen, können wir Hilfestellungen für Betroffene anbieten und organisieren.“, so Dirim. Sich selbst zu reflektieren sei gar nicht so einfach, und daher sind Formen kollegialer Beratung und Unterstützung ein guter Schlüssel. Ein weiterer Aspekt ist die Sprache. Sprache ist nicht statisch, wir verwenden sie und entwickeln sie, und daher ist Sprache wichtig, um Rassismus entgegenzuwirken. Rassismus, resümiert Dirim, müssen wir nicht nur auf der kognitiven Ebene begegnen, sondern die affirmative, die emotionale Ebene mitberücksichtigen. Wenn es in der Schule gelingt, Schüler*innen emotional zu erreichen, dann ist schon viel getan, zeigt sie sich optimistisch.
Wer sich mit Vielfalt, Sprache und Mehrsprachigkeit auseinandersetzt, braucht vor allem in Bildungszusammenhängen eine machtkritische Perspektive, betont Hannes Schweiger. Denn recht schnell stellen sich Fragen wie: Welche Sprachen haben welches Prestige? Wie kann man das Prestige von Sprachen ändern? Und welchen Beitrag zu Bildungsgerechtigkeit kann Sprache leisten?
Der Zusammenhang von Sprache und Identität ist zentral, denn es geht schließlich darum über Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit zu bestimmen. Und damit wird klar, welche Macht ein Perspektivenwechsel haben kann. Und durch all diese Fragen zieht sich ein Anspruch an einen spielerischen Zugang zu Sprache durch. Schweiger fordert Lernräume, in denen sich Schüler*innen ausprobieren können. Und in denen sie erleben, dass Mehrsprachigkeit kein Defizit ist, sondern die Norm. Menschen mit „nur“ Deutschkenntnissen können dank eines Perspektivenwechsels als defizitär angesehen werden. Dieser Blickwinkel verändert sofort die Selbstermächtigung von Schüler*innen, zeigt sich Schweiger überzeugt. Und er argumentiert dabei in Anlehnung an Melisa Erkurt, die ihre Forderung, dass Schule lernen müsse, allen eine Sprache zu geben, in Buchform vorgelegt hat. Österreich ist ein Land der Mehrsprachigkeit, begreift sich allerdings in einem monolithischen Bildungssystem. Das empfindet Schweiger als einen Widerspruch in sich. Er mahnt zudem, Statistiken mit Vorsicht zu genießen. Denn vielfach sei es besonders aufschlussreich einen Blick darauf zu werfen, wie Kategorien gebildet werden, die dann für politische und ideologische Argumentationen herangezogen werden. Wer welche Sprache als Erstsprache oder Zweitsprache angibt, hat noch keine Aussage über Sprachkompetenz getroffen, und vielfach wird Mehrsprachigkeit als negativ erlebt.
Den Blick auf Mehrsprachigkeit differenzieren
Mit den Deutschförderklassen geht Schweiger hart ins Gericht. „Global und historisch gesehen ist Mehrsprachigkeit die Norm und nicht die Abweichung von der Norm. Dieser monolinguale Habitus ist ein richtiges Kuriosum!“, fordert Schweiger umgehend mehr Forschung auch in diesem Bereich. Wir haben einige Berichte über Deutschförderklassen gesehen, aber die wenigsten haben wirklich mit denen gesprochen, die betroffen sind – nämlich mit den Schüler*innen. Diese hätten sich sogar mehrheitlich dort nicht vollständig, nicht glücklich gefühlt. Die Evaluationen hätten dies belegt, dennoch hält man am Konzept fest. Aber generell würde es den Perspektivenwechsel erleichtern, wenn häufiger MIT Menschen gedacht und gesprochen würde, als lediglich ÜBER sie.
Auch Dialekte sind ein Aspelt von Mehrsprachigkeit, hebt Schweiger hervor. Die Idee von einer einzigen Erstsprache ist ebenso absurd, viele hätten eher mehrere Erstsprachen, sie begreifen sich als konstitutiv mehrsprachig. Jugendsprache mit etlichen Lehnwörtern aus dem Englischen beispielsweise ist ein Ausdruck davon. Mehrsprachigkeit ist ein Schatz, eine Ressource, ein Unterrichtsgegenstand und sollte gerne auch ein Unterrichtsziel sein, fasst Schweiger zusammen.
Sprache verändert sich – wie gehen wir damit um?
Die Praxis in den diversen Schulen zeigt, dass ein spielerischer Umgang mit Sprache eine wunderbare Annäherung an Perspektivenwechsel ist. Bücher wie „Blume ist Kind von Wiese“ von Helga Glantschnig, aber auch das Projekt der kleinen Bücher der Volksschule Ortnergasse Wien, sie alle beweisen, dass Sprache dynamisch ist, sich entwickelt, und gelebt werden muss. „Rassismus werden wir nicht los, aber Bildung ist ein Ziel zur Reduktion. Wir brauchen kreative Räume, Lernräume, Denkräume, und wir müssen die Vielfalt stärken.“, zeigt sich Schweiger überzeugt. An allem hängen Ressourcen, jede Kategorisierung ginge mit Ressourcen einher, aber mit ein bisschen Fantasie lassen sich schon kleine schöne Impulse setzen. Denn schließlich dürften wir nicht vergessen, dass Reflexion ein Teil unserer pädagogischen Professionalität sei. „Die Wenigsprachigen sind ein Problem, nicht die Mehrsprachigen.“, bringt es Hannes Schweiger auf den Punkt. Wenn die Diskussion so beginnt, bekommen wir ganz neue Ansichten, Antworten und Erkenntnisse.
Worum es eigentlich geht, was ist zur Sprache gekommen und was nicht, was wäre aber wichtig gewesen? All diese Fragen bestimmen maßgeblich den Diskurs in der Intersektionalität mit. Das mache es keineswegs leichter. Aber die Auseinandersetzung damit lohnt.
„Bei Intersektionalität geht es um ein Ineinandergreifen von unterschiedlichen Dimensionen, die alle mit Macht verbunden sind. Strukturelle Ungleichheiten wirken sich auf Praktiken und auf Normen aus.“, verdeutlicht Degele das wesentliche Problem, das dem Begriff der Intersektionalität zugrunde liegt. Das Thema ist nicht leicht, es ist im Gegenteil breit, und es zu fassen, ist schwer. Dadurch bringe das Konzept bei aller Popularität viel Probleme mit sich. Es geht dabei um Ambiguitäten, um Widersprüche, um mangelnde Definiertheit, und über allem steht der Anspruch all das zu reflektieren, und so zu anderen Fragen zu kommen. Letztlich spiegelt sich darin eine gewisse Haltung, bei aller Verkomplizierung ist es wichtig zu begreifen, dass es Kategorien gibt, die nicht additiv zusammenkommen, sondern sich verschränken. Da wirken unterschiedliche gesellschaftliche Bedingungen zusammen. „Welche Kategorien sind denn relevant? Klassenzugehörigkeit? Körperliche Bedingtheit? Geschlecht? Je nach Zusammenhang und Fragestellung ist das unterschiedlich.“, so Degele. Wenn historisch gesehen in gesellschaftspolitischen Fragen Frauen beispielsweise adressiert wurden, so waren das meist weiße Frauen. Nicht ohne Grund liegen die Wurzeln der Intersektionalität in der Black Feminism Bewegung, die diese Schieflagen bereits im 19. Jahrhundert thematisiert haben. Unter dem Schlagwort „Ain’t I a Woman?“ reflektierten Frauen erstmals in der Öffentlichkeit, dass ihre Hautfarbe einen Unterschied zu anderen Frauen ausmache. Intersektionalität trachte danach, Strukturen sichtbar zu machen, damit niemand durch die Maschen fallen kann, so Degele. Sie zeigt auch auf, dass je nach Kontext Begriffe für eine wissenschaftliche und auch öffentliche Auseinandersetzung nicht herhalten können. So sei der Begriff „Rasse“ im deutschsprachigen Raum einschlägig besetzt und brauche mehr Erklärungen, bis man ihn tatsächlich gebrauchen könnte, als hilfreich sei. „Alle Begriffe muss man kontextspezifisch überlegen, und es gibt oft keine richtige Lösung. Man muss jeweils entscheiden, welchen Fokus man auf welches Thema legen möchte.“, so Degele.
Eine Frage der Ebenen
Intersektionalität Denken bedingt eine hohe Bereitschaft zur Selbstreflexion, und dann lassen sich beispielsweise folgende Ebenen herausarbeiten, anhand derer Diskurse und Themen betrachtet werden können: die strukturorientierte, die identitätsbezogene sowie die repräsentationsorientierte Ebene. All das unterstreiche einmal mehr, dass Intersektionalität denken ein Prozess der Problematisierung und der Verkomplizierung sei, aber Veränderungen für eine Gesellschaft seien sonst schwer möglich.
„ Gesetze verändern sich nur, wenn sich Normen verändern, und Normen verändern sich nur, wenn sich Gesetze verändern. Normen gehen Gesetzen voraus, eine Normierung muss bereit sein, dass Gesetze möglich sind. Aber das ist eine Wechselwirkung.“, illustriert Degele ihren Ansatz am Beispiel des Rauchverbotes in öffentlichen Räumen. Dass dies gelingen konnte, ist das Ergebnis dieser Wechselwirkung. Widerstände ließen sich überwinden, wenn man diesen mit Sensibilität begegne, und wenn man begreife, dass vieles nicht eine reine Privatangelegenheit sei, sondern auch andere davon betroffen sind. Nina Degele plädiert für Multiperspektivität: „Wollen wir ein Ziel erreichen, müssen wir uns von vielen Fragen leiten lassen. Und wir müssen uns ansehen, wo Verbindungen zwischen den Kategorien liegen, wie es um die Strukturverteilungen geht, und was gar nicht beachtet wird. Erst aus diesem Gesamtbild lässt sich vorsichtig herausarbeiten, was relevant ist.“
Ihre Prognose für die Zukunft ist durchwachsen. Unsere Gesellschaft bewegt sich in einem Raum, der stark vom Fortschrittsnarrativ und vom Aufklärungsimperativ geprägt ist. „Aber was wir machen können, ist da Sand ins Getriebe bringen, dem Wachstumsimperativ etwas entgegensetzen. Und daran anknüpfend neue Impulse setzen.
Mit viel Enthusiasmus berichtet Ulrike Alker aus dem Alltag an einer Hochschule. Diversity Management im akademischen Umfeld zu platzieren ist eine Aufgabe, die sie seit vielen Jahren erfüllt, und in der sie selbst viel dazugelernt hat.
Diversität betrifft unser Arbeitsumfeld an der FH-Campus Wien, nämlich das der Mitarbeiter*innen als auch jenes der Studierenden. “Da kommen viele unterschiedliche Kontexte zusammen, alleine nur durch die Perspektiven berufsbegleitend oder Vollzeit zu studieren, Elternschaft, und letztlich muss man alles Intersektionalität denken.“, so Alker, die sich selbst überaus glaubwürdig als „Macherin“ bezeichnet. Die in ihrem Betätigungsfeld einen durchaus langen Atem braucht. In der Rückschau sehe man oft erst, was alles gelungen sei, resümiert sie, auch wenn es sich im Moment gar nicht so anfühlt. Wer Unterschiede ignoriert, schafft ein Feld für Benachteiligungen und Demotivation, ist sie überzeugt. Dem hält sie Reflexion entgegen. Wer sich selbst in Frage stellt, schafft Handlungsfreiheit.
Im Laufe der Jahre sei es gelungen, an der FH-Campus Wien wichtige Impulse zu setzen. Ein Code of Conduct schaffe Verbindlichkeit, (juristische) Anlaufstellen für Studierende, Mitarbeiter*innen, Führungskräfte und auch Bewerber*innen hätten sich als wichtig etabliert, und schließlich gibt es ein ganzes Bündel an Fort- und Weiterbildungsangeboten, um seine Diversitätskompetenz nachhaltig zu erweitern. Diskriminierungsfreie Räume sind das Ziel, und je näher wir da rankommen, desto besser, lässt sich die Motivation zusammenfassen.
Gesetze sind wunderbar
Abgesehen von Motivation braucht es auch entsprechende Rahmenbedingungen und Verbindlichkeiten, und auch Gesetze, zeigt sich Alker überzeugt: „Gesetze sind wichtig, weil sie Verbindlichkeit schaffen, und sie schaffen Chancen, dass wirklich was passiert. Die Grundlage für unsere Arbeit ist, dass das Thema Diversität in der Strategie und Mission der FH-Campus Wien verankert ist, wir haben Gleichstellungsbeauftragte und einen Diversitätsplan gemäß der Vorgabe im Fachhochschulgesetz und einen Code of Conduct – das sind die internen Richtlinien, nach denen wir arbeiten.“, zeigt Alker die Säulen ihrer täglichen Arbeit auf.
An der FH-Campus Wien reagiere man auf gesellschaftspolitische Veränderungen und Prozesse aber auch Ereignisse: „Alleine die Black Lives Matters Bewegung hat auch viele neue Themen aufgebracht. Aber auch die Änderung des Personenstandsgesetzes mit nunmehr sechs Geschlechtereinträge – das will auch an der FH strukturell verrostet werden, und das wird nicht von allen goutiert. Das gelingt nur in ständigem Diskurs.“, bekennt Alker offen, dass Ihr Einsatz für Diversität kein Durchmarsch ist, sondern immer wieder mit Widerständen und Barrieren verbunden ist.
Diversitymanagement hat eine wirtschaftliche und eine menschenrechtliche Dimension, führt Alker aus, Gleichbehandlung spiegelt sich in der Zufriedenheit der Mitarbeiter*innen und der Studierenden wider. Krankenstände, Fluktuation, all das sind Symptome dafür, dass es Menschen in einem System nicht gut geht, daran kann man ganz gut ablesen, was gut gelingt. Alker sieht die FH-Campus Wien als eine lernende Organisation. Was sie selbst in all den Jahren gelernt hat? „Zu glauben zu wissen was für andere gut ist, das funktioniert nicht.“, aber was wichtig sei, wäre eine ständige Gesprächsbereitschaft. Darüber hinaus plädiert sie für eine Vernetzung über die Grenzen der eigenen Institution hinweg. Und sie mahnt Solidarität ein, denn nichts gelinge von heute auf morgen.
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